Retroviren mögliche Ursache des chronischen Erschöpfungssyndroms

Chronische Erschöpfung, etc
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holger
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Retroviren mögliche Ursache des chronischen Erschöpfungssyndroms

Beitrag von holger »

Folgender Artikel erschien im Deutschen Ärzteblatt



Reno – Ist das chronische Erschöpfungssyndrom Folge einer Infektion mit einem Retrovirus? Eine Studie in Science (2009; doi: 10.1126/science.1179052) weist Gene eines kürzlich entdeckten Virus in Leukozyten bei zwei Drittel der Patienten nach. Nach noch nicht publizierten Studien sollen fast alle Patienten Antikörper gegen XMRV im Blut haben.



Das Xenotropic murine leukaemia virus (XMRV) wurde vor drei Jahren von Robert Silverman, einem Biologen der Cleveland Clinic Foundation in Ohio, in Prostatakrebszellen entdeckt. Es gehört zu den Gammaretroviren, die bei einigen Tierarten Leukämien und Lymphome auslösen. Benannt ist es nach dem murinen Leukämievirus (MLV), das allerdings nicht den Menschen infiziert. Andere Beispiele sind das feline Leukosevirus und das feline Sarkomvirus.



Erst vor wenigen Wochen sorgten Forscher der Universität von Utah in Salt Lake City für Aufsehen. Sie wiesen XMRV in 27 Prozent aller Prostatakarzinome, aber nur in 6 Prozent der gesunden Zellen nach (PNAS 2009; 106: 16351-16356).



Jetzt berichtet Judy Mikovits vom Whittemore Peterson Institute in Reno im US-Bundesstaat Nevada, dass zwei Drittel aller Patienten mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom aktiv mit dem Virus infiziert sind. Die Forscher wiesen die Virusgene im Blut in den Monozyten von 68 von 101 Patienten mit chronischem Erschöpfungssyndrom nach. In einer Kontrollgruppe waren nur 8 von 218 Probanden (3,7 Prozent) infiziert.



Die Blutzellen enthielten nicht nur die Virusgene. Die Forscher konnten auch zeigen, dass daraus XMRV-Proteine abgelesen und zu Viren zusammengebaut werden, mit denen im Labor dann andere Zellen infiziert werden konnten. Nach noch nicht publizierten Ergebnissen sollen 95 Prozent aller Patienten mit chronischem Erschöpfungssyndrom Antikörper gegen das Virus im Blut haben gegenüber 4 Prozent der gesunden Kontrollen.



Das beweist zwar nicht, dass die Viren tatsächlich die Ursache der Erkrankung sind. Sie könnten eine Begleiterscheinung sein. Beispielsweise könnte die Erschöpfung die Patienten anfälliger gegen Virusinfektionen machen.



Tatsächlich wurden in der Vergangenheit bereits mehrere andere Viren einschließlich Herpesviren, Enteroviren und dem Epstein-Barr-Virus mit der Erkrankung in Verbindung gebracht. Der nächste Schritt in der Beweisführung könnte die erfolgreiche Übertragung in einem Tiermodell sein.



Aber selbst wenn die Viren nur ein zuverlässiger Marker für die Erkrankung sein sollten, wäre den Patienten möglicherweise geholfen. Denn das chronische Erschöpfungssyndrom ist bisher eine diagnostisch schwer fassbare Erkrankung. Die Definition fordert als Hauptsymptom eine anhaltende Erschöpfung/Erschöpfbarkeit, die nicht auf eine körperliche Anstrengung zurückgeführt werden kann und sich in Ruhe nicht bessert. Es lässt sich ein Zeitpunkt des Krankheitsbeginns benennen: Die Erschöpfung darf nicht lebenslang bestehen, und sie hat eine signifikante Reduktion der früheren Aktivitäten zur Folge.



Eben diesem Hauptkriterium werden mindestens vier der folgenden Symptome oder Krankheitszeichen für eine Diagnose gefordert: Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, verlängerte extreme Erschöpfung nach körperlichen oder geistigen Anstrengungen, nicht erholsamer Schlaf, Muskelschmerzen, Erkrankung mehrerer Gelenke ohne Schwellungen oder Rötungen, Kopfschmerzen, häufige Rachenentzündungen, tastbare und schmerzende zervikale oder axilläre Lymphknoten.



Das sind nicht gerade präzise Kriterien und eine Assoziation mit einer Viruserkrankung wäre sicherlich eine große Hilfe. Die Autoren selbst denken bereits über therapeutische Konsequenzen, etwa die Therapie mit antiretroviralen Substanzen nach.
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